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Aus der Geschichte Kiel-Gaardens



Schreibwaren VOLBEHR - Schulstraße/Ecke Augustenstraße



Die Nostalgie des Rechenschiebers

Gegen große Bürobedarf-Ketten ist eigentlich nicht viel zu sagen. Sie bieten Papier, Stifte und alle möglichen anderen Dinge des einschlägigen Sortiments an – so etwas wie Seele haben sie freilich nicht Schreibwaren Volbehr, das war „eine Institution in Gaarden", erinnert sich jeder, der in dem 1875 eröffneten Geschäft Schulhefte kaufte. Großartig eigene Wünsche äußern musste keiner, denn das Volbehrsche Personal wusste damals ganz genau, welche Hefte für welche Schulklassen benötigt wurden.
Überhaupt, so geht aus den Berichten der langjährigen Mitarbeiterinnen Marie-Luise Ramm und Marita Klüver hervor, konnte in dem Laden nicht einfach nach Belieben herumgestöbert werden.
Voller Schubladen und Schränke war das Geschäft, Tausende von Gegenständen, die schon damals kleine Schätze waren, wurden darin verwahrt. Und wenn ein Kunde seine Wünsche anmeldete, wurde das passende Sortiment eben herausgeholt, vor ihm ausgebreitet und mit allen Vor- oder Nachteilen erklärt. So wurde jedem Schüler auch der Unterschied zwischen einem Tonpapier und einem Fotokarton klar gemacht.
Fotos aus dem Kieler Stadtarchiv
Jede Lineatur, jedes Papierformat und jede Ordnergröße, bunte Schultüten zur Einschulung, Federn zum Schreiben und auch für die Kalligraphie, selbst farbige Tinte konnten Gaardener Kunden nur bei Volbehr erhalten. Ganz zu schweigen von der riesigen Auswahl an Grußkarten – Muttertagskarten mit Sprüchen wie:“... das Liebste auf der Erden bist mit Du mein Mütterlein“. So etwas war zu Zeiten Vollbehrs noch ein Verkaufsschlager. Abgesehen von der gestrigen Sprache sagt das eben auch aus, welchen Stellenwert vor noch gar nicht so langer Zeit (hand-)schriftliche Aufmerksamkeiten auf richtigem Papier genossen.
Menschliche Verbundenheit zeigte sich auch darin, wie zu dieser Zeit mit Mitarbeitern umgegangen wurde. Zum Beispiel bestand Liselotte Volbehr (im Bild links), die letzte Inhaberin des Traditionsgeschäftes, stets darauf, ihre Mitarbeiterin bei Dunkelheit persönlich mit dem Auto nach Hause zu fahren.

Aber auch im alten Gaarden, Schrecken des Nazi-Regimes und des Zweite Weltkrieges nahezu überwunden waren, sollte sich alles nochmals wenden. Eine neue, eine digitalisierte Zeit brach an. Bei Volbehr gab es noch jenen Aristo-Rechenschieber zu kaufen. Heute ist all die Mühe längst vergessen, die einst der Umgang mit diesem vor kryptischen Zeichen und Zahlenanordnungen nur so strotzenden Instrument gekostet hat.

Als klar war, dass das Volbehrsche Haus der Stadtteilsanierung würde weichen müssen, weil nach amtlicher Mitteilung die Schulstraße „dem Nahverkehr anzupassen" sei, regte die Inhaberin, Frau Liselotte Volbehr, an, Mobiliar und unverkaufte Bestände des Geschäfts für die Nachwelt aufzubewahren.
Und so lagerten die Sachen in 138 Kisten im Museumsdepot, wurden erst 2008 nach dessen Umzug in den Wissenschaftspark am Westring wieder angerührt. Die 18 000 Einzelteile wurden gesichtet, fotografisch archivieren und wieder zusammengefügt.
Schon weil es sinnlos gewesen wäre, vielfach Vorhandenes komplett auszustellen, enthält das in diesem Depot aufgebaute Schreibwarengeschäft heute nur einen Bruchteil des Sortiments. Aber fast das gesamte Mobiliar und sehr viel von dem, was über die kleine Welt dieses Ladens hinaus die Alltagskultur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschreibt.
Die Fotos in der linken Spalte wurden von der Fotografin Heidi Klinner zur Verfügung gestellt.
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