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Aus der Geschichte Kiel-Gaardens



Der Kieler Schlachthof



Mitte der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts ließ die Stadt Kiel den südlichen Teil des Hafens zuschütten, um den Morast-Tümpel, der sich am Fördeufer Fürstlich Gaardens entwickelt hatte, wirtschaftlich nutzen zu können. Der Sand zum Zuschütten wurde aus dem Gebiet zwischen Karlstal und Preetzer Chaussee entnommen. Allerdings scheiterte der erste Versuch der Befestigung kläglich, da die hölzerne Spundwand dem Druck nicht standhielt und die gerade aufgeschüttete Fläche wieder überschwemmt wurde. Die geplanten Feierlichkeiten fielen buchstäblich ins Wasser. Erst nachdem eine Kaimauer aus Steinen errichtet wurde, konnte die Fläche erfolgreich zugeschüttet werden.

Auf diesem Gelände entstand im Jahre 1887 der öffentliche Kieler Schlachthof – direkt an der Bahnhofstraße, die die Hauptverbindung des Fürstlichen Gaarden mit der Stadt Kiel darstellte.
Aus hygienischen Gründen wurde zu damaliger Zeit festgelegt, dass nur auf dem von der Stadt errichteten öffentlichen Schlachthof das gewerbsmäßige wie das nichtgewerbsmäßige Schlachten aller Arten von Schlachtvieh vorgenommen werden durfte. Ausnahmen waren nur bei sogenannten »Nothschlachtungen« möglich, wie der § 1 des Gemeindebeschlusses betreffend die Einführung des Schlachtzwanges in der Stadt Kiel vom 3. Dezember 1886 bestimmt.

#1 Bild aus 1970
#2 Bild aus 1970: Anlandung dänischer Sauen an Seegrenze-Schlachthof.

Der Kieler Schlachthof war bereits kurz nach seiner-Gründung ein relativ bedeutender Arbeitgeber, denn immerhin fanden 1887 schon 22 Menschen dort Arbeit. Das ist besonders deshalb erwähnenswert, da zunächst die örtlichen Schlachtermeister – auch »Ladenschlachter« genannt – in eigener Regie ihr Vieh dort schlachteten und zum Verkauf vorbereiteten. Im Jahre 1887 nutzten immerhin 87 Schlachtermeister mit 100 Gesellen und 30 Lehrlingen diese neue Einrichtung.
Im Laufe der Zeit machte der Öffentliche Kieler Schlachthof einige Wandlungen durch, die wegen veränderter Ansprüche, erforderlicher Erweiterungen, neuer Liefer- und anderer Absatzwege sowie kriegsbedingter Zerstörungen notwendig wurden. Im Jahre 1895 wurde die Seequarantäneanstalt mit Brückenanlagen in der Hörn angegliedert. Der Viehhof wurde Anfang 1897 in Betrieb genommen. Aufgrund einer landespolizeilichen Anordnung musste 1906 eine scharfe Trennung zwischen dänischen und heimischen Rindern vorgenommen werden, die zusätzliche bauliche Maßnahmen nötig machte. Eine Auslandsfleischbeschaustelle und ein bakteriologisches Laboratorium wurden ebenfalls zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingerichtet.

Die Seequarantäneanstalt durfte nur bis Mitte 1929 genutzt werden, so dass ein neuer Seegrenzschlachthof mit allen neuzeitlichen hygienischen und schlachttechnischen Einrichtungen gebaut werden musste. Die Errichtung eines Schlachtvieh-Großmarktes im Jahre 1935 machte den Neubau eines Viehhofes erforderlich. Deshalb wurden Verwaltungsgebäude, Großviehmarkt für Rinder, Kleinviehmarkthalle, Schweinemarkthalle, Händlergebäude und ein Seuchenschlachthaus bis 1937 errichtet. Zu diesem Zweck musste der Vollrathsbach kanalisiert und überbaut werden. Nach Abriss des alten Viehhofes entstand an dieser Stelle im Jahre 1939 das Städtische Kühl- und Gefrierhaus mit Eisfabrik.
Während des Zweiten Weltkrieges wurde auch da Schlachthofgelände stark in Mitleidenschaft gezogen. Nach dem Wiederaufbau der notwendigsten Teile wurde bereits im Jahre 1949 mit der Neuplanung des Städtische Schlachthofes begonnen. Die notwendigen Um- und Neubaumaßnahmen zogen sich bis Anfang der 60er Jahre hin. Parallel zur Neugestaltung des Schlachthofes vollzog sich ein Strukturwandel des dort tätigen Gewerbes.

#3 „Weite Kreise der Bevölkerung können sich heute normalerweise kaum noch Fleisch leisten.
So kommt es, dass freitags bereits oft vor 5 Uhr morgens sich lange Schlangen am Kieler Schlachthof bilden, um Freibank-Fleisch zu erhalten. Es handelt sich um Fleisch, das vom Tierarzt zum Verbrauch freigegeben worden ist, aber im Wert nicht dem im üblichen Handel erhältlichen Fleisch entspricht. Damit aber nur ein wirklich bedürftiger Kreis das billige Fleisch erhält, gibt das Sozialamt der Stadt Kiel Karten heraus”, kommentierte die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung ein Foto am 29. 11. 1950
#4 Bild aus 1950: Häuten und Zerlegen von Rindern

Neben den »Ladenschlachtern« waren Großschlachter, Fleischwarenfabriken, Vieh- und Fleischagenten, Importeure und der Verbundhandel, der sich auf Innereien, Därme, Drüsen, Schlachtzubehör oder Häute spezialisiert hatte, auf dem Schlachthof tätig. Selbständige Lohnschlachtermeister (»Kopfschlachter«), Darmbearbeitungs- und Sortierbetriebe, eine Viehtreiberfirma, Transportunternehmen und Speditionen unterstützten den Handel. Die Zahl der städtischen Beschäftigten war von 22 im Jahre 1887 auf 221 in Jahre 1962 gestiegen. Auf dem Schlachthof waren insgesamt mehr als 700 Menschen tätig. Er war damit zu einen der bedeutendsten Arbeitgeber für Fürstlich Gaarden und für Kiel geworden.
Der Strukturwandel setzte sich aber im Zuge der verbesserten Möglichkeiten, Fleisch zu transportieren, fort. In den Erzeugergebieten entstanden immer mehr Versandschlachtereien, so dass in einem Gutachten im Jahre 1968 festgehalten werden musste, dass nur durch eine Straffung der Betriebsführung und eine Verkleinerung des Betriebes der Wettbewerb mit den anderen Verarbeitungsunternehmen bestanden werden könnte. Dieses neue Konzept wurde nicht mehr auf dem alten Gelände, sondern im Industriegebiet Wellsee verwirklicht. Die Schlachthotbetriebe an der Bahnhofstraße wurden am 20. September 1974 endgültig geschlossen.

87 Jahre bestimmten diese Betriebe das wirtschaftliche Geschehen in und um Fürstlich Gaarden mit. Heute steht auf dem alten Schlachthofgelände das große Gebäude der Agentur für Arbeit und das Sozial-Ministerium.

#5 Bild: Auf dem Kieler Schlachthof 1952. Massentierhaltung und industrielle Verarbeitung der Tiere verändern die Arbeitsstruktur. Aus dem ursprünglichen Schlachter-Handwerk wird eine Tätigkeit für überwiegend Ungelernte unter der Anleitung von wenigen Fachkräften.

(Quelle: Stadtarchiv Kiel)
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