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Aus der Geschichte Kiel-Gaardens

Die Entstehung des Werftarbeiter-Stadtteils



In den letzten 15 Jahren hat sich das am jenseitigen Ufer des Kieler Hafens gelegene Dorf Gaarden in höchst erfreulicher Weise gehoben. Damals lagen im genannten Dorfe nur einzelne Wohnungen, hauptsächlich Bauerhäuser, welche mit Stroh gedeckt waren... Die Schönbergerstraße, obgleich eine ziemlich primitive Hauptstraße, zieht sich als solche durch ganz Gaarden;
6 Straßen, welche zum Nachtheil des ganzen Dorfes bis jetzt noch nicht planiert sind, biegen von der Schönbergerstraße landeinwärts ab und führen mehr oder minder steil bergan zur Kaiserstraße, auf deren Höhepunkt sich die neue schöne Kaserne majestätisch erhebt und in den Augen des fernen Beschauers von Gaarden letzterem einen militärischen Stempel aufdrückt.
Gaarden hat jetzt mehrere andere große Neubauten aufzuweisen, nämlich 2 stattliche Schulhäuser,
1 Kranken- und Armenhaus, und einige sehr niedliche Privathäuser; ebenfalls sind alle Gebäude, welche zur kaiserlichen Werft gehören, neu. Kein Reisender aber sollte versäumen, diese bedeutende Werft mit dem großartigen Binnenhafen zu besehen; er wird dort gewiss viel Lehrreiches und Interessantes finden.
Die kaiserliche Werft beschäftigt in regelmäßiger Arbeit gegen 5000 Arbeiter, viele Werkmeister, Ingenieure und höhere Beamte, und sie ist es, welche Gaarden auf seinen jetzigen Standpunkt erhoben hat und nicht aufhört, sein Gedeihen zu unterstützen. Dem vor einigen Jahren so großen Etablissement der Norddeutschen Werft verdankt Gaarden ebenfalls teilweise sein rasches Emporblühen; ungünstiger Verhältnisse halber mussten die Arbeiten daselbst vor mehreren Jahren einige Zeit eingestellt werden, haben jedoch jetzt wieder unter der Märkisch-Schlesischen Hütten-Aktien-Gesellschaft , vormals F.A. Egells neue Arbeiten wieder aufgenommen.
In der Nähe dieses Etablissements liegen die armseligen Baracken für die unterste und ärmste Klasse der Arbeiter, die größtenteils von Schweden bewohnt sind, und diese Baracken machen durch ihr Äußeres wie durch ihr Inneres den Eindruck der größten Armut.

Gaarden ist jetzt ein Riesendorf mit ca. 8000 Einwohnern. Natürlich sind auch die meisten Handwerker dort vertreten; wir finden mehrere große Läden, unter denen jedoch nur zwei Manufakturläden. Gaarden hat einen Geistlichen sowie zwei tüchtige Ärzte außer den Militärärzten aufzuweisen; es besteht eine Apotheke und eine sehr gute Elementarschule; hübsche Wohnungen und größtenteils daneben Gärten. So bietet Gaarden viele Annehmlichkeiten einer Stadt und ebenfalls manche Freiheit des Landlebens. Wie kommt es nun aber, dass trotz allem so Mancher sich scheut, hinüber zu siedeln? Sind es die verhältnismäßig sehr bedeutenden Steuern daselbst? Oder ist es das Vorurteil, dass in jener Arbeiter- und Militärstadt sich kein rechtes stilles, gemütliches Heim schaffen lasse? Wir lassen diese Fragen unbeantwortet.
Die Arbeiterwelt setzt sich aus allen Nationen zusammen. Hier sehen wir den kräftigen Holsteiner und Schleswiger, dort den gewandten Preußen; da in seiner weiten wollenen Blouse den Schweden; hier auch einen Italiener, dessen langes dunkles Haar im Winde flattert; auch vereinzelte Engländer machen sich durch ihr Äußeres leicht kenntlich. Die Notwendigkeit, ihr tägliches Brot durch Arbeit zu erringen, ruft diese verschiedenen Menschen an denselben Platz der Arbeit, des Verdienstes. Es kann wohl nicht geleugnet werden, dass bei manchen Arbeitern die wahre Häuslichkeit nicht zu finden ist. Gehen wir Abends durch den Ort, so finden wir allein in der Schönbergerstraße nicht weniger als achtzehn Wirtschaften, die meist mit Gästen grade aus den unbemittelten Klassen angefüllt sind. Und doch sitzt gleichzeitig so manche Arbeiterfrau daheim, umgeben von ihren Kindern, vergebens auf die Rückkehr des Mannes und des Vaters wartend, mit dem sie so gerne ihr bescheidenes Mahl teilen möchten.

Kieler Zeitung - Abendausgabe vom 15. Juni 1881
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