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Aus der Geschichte Kiel-Gaardens

Die Goldeimer und die
Geschichten vom "Ä—Mann"



In den 1880er Jahre begann die Stadt mit der planmäßigen Kanalisation. 1906 wurde genehmigt, die Abwässer bei Bülk am Eingang der Förde in die Ostsee zu leiten. 1925 war erst jeder dritte Kieler Haushalt an die Kanalisation angeschlossen.

In den Gaardener Straßen wurde noch zum Ende der 1950er bis zum Anfang der 1960er Jahre eine Kanalisation gebaut. Bis dahin kam regelmäßig ein dafür extra ausgebauter Wagen und holte die Fäkalien in den sogenannten Goldeimern ab.

Die Plumps-Toiletten, unter denen die Eimer in einem Holzkasten mit Loch standen, befanden sich in den Mietshäusern auf „Halber Treppe“ und hatten ein kleines Fenster zur Entlüftung aber keine Heizung. Wenn die Eimer abgeholt wurden, stank das ganze Treppenhaus noch stundenlang.
Die Kosten für die Kunstdüngerfabrikation waren sehr hoch, da dazu Guano vorwiegend aus Chile kostspielig nach Europa transportiert werden musste. Die Produktion von einheimischem Dünger aus Fäkalien, die man umsonst bekam, versprach ein lukratives Geschäft, wodurch die Fäkalieneimer umgangssprachlich „vergoldet“ wurden.

Im September 1901 nahm eine Fäkaldüngerfabrik in Kiel ihren Betrieb auf, wovon das östlich angrenzende Wohnviertel noch heute Zeugnis ablegen kann, wird es doch seitdem Stinkviertel genannt. Die Fäkalien wurden hier durch Behandlung mit Schwefelsäure in einem speziellen Dampfverfahren zu hochwertigem und versandfähigem Dung verarbeitet. Das Stinkviertel wird in seiner fast vollständig rechteckigen Form im Osten begrenzt durch den Westring, im Süden durch die Gutenbergstraße, im Westen durch die Christian-Kruse-Straße und im Norden durch die Krausstraße bzw. die Schauenburgerstraße. Das Gebiet besteht hauptsächlich aus Gründerzeitgebäuden in geschlossener Bauweise, die zwischen 1900 bis 1925 errichtet wurden. Einige Häuser verfügen über kleinere Wohnungen, die an ärmere Arbeiterfamilien vermietet wurden. Im Stinkviertel wuchs Anfang des 20. Jahrhunderts der Kieler Autor Hein Blomberg auf.

Wenn die Eimer abgeholt wurden hat es auch immer im Treppenhaus des Mietshauses in der Iltisstraße – dort wo meine Familie wohnte - für längere Zeit ekelig gestunken. Unangenehm, wie jeder sich wohl vorstellen kann, war der Gestank für alle Bewohner und also auch für die kleine Lissi, die aufgrund ihres Bäh-Gefühls, den Namen Ä-Mann für die Männer benannte, die jene berüchtigten Goldeimer abgeholt haben.
Spontan fanden Edgar und Arno wieder einmal einen Weg, ihre Schwester und Cousine zu necken.
„Du stammst nicht von Deinen Eltern ab. Du bist vom Ä-Mann abgegeben worden, woher hast Du sonst so viele Sommersprossen".
„Pass bloß auf, sonst holt Dich der Ä-Mann wieder ab".

Wen wundert es da, dass Lissi immer Angst hatte, wenn die Fäkalien-Eimer abgeholt wurden. Sie ging dann stundenlang nicht ins Treppenhaus. Der Name Ä-Mann hat die vielen Jahrzehnte überlebt.

Eine andere Geschichte über die schwere und sicherlich unangenehme Arbeit der Männer, welche die sogenannten „Goldeimer" abholten ist die von den Brüdern Edwin und Henry. Beide fanden es nun immer wieder lustig diese übel riechenden Männer, die sich mit den Traghölzern und den Eimern dran abmühten, mit allen möglichen Schimpfwörtern zu betiteln. Als aber der Vater der beiden Jungs davon erfuhr, gab es ein sehr ernstes Gespräch darüber, dass jeder der seine Arbeit tut und das auch noch indem er den Dreck der anderen Leute beseitigt, wohl eher mit Respekt zu begegnen sei. Mit der Androhung: "Nächstes Mal bringt ihr eure Scheiße alleine weg!" blieben die Ä-Männer unbehelligt vom Spott dieser kleinen Bengel. Eine Geschichte die ebenso die Jahrzehnte überdauert hat – denn auch ich, der die Standpauke meines Onkels als noch ganz kleiner Junge mitgehört hatte – ich zahle noch heute jeder Toilettenfrau meinen Obolus.
Und den Kindheitserinnerungen von Dr. Edmund Schulz, der in der Iltisstraße Nr. 55 bis 1952 lebte, ist zu lesen: „Im Zusammenhang mit den Goldeimern" habe ich noch eine kleine Erinnerung. In den Kriegsjahren waren es polnische Zwangsarbeiter, die in unserer Straße die Kübel schleppten. Die wurden nicht nur immer wieder angebrüllt schneller zu arbeiten, sondern wurden oft vor unseren Augen von dem deutschen Vorarbeiter mit dem Tragholz verprügelt. Schon kurz nach Kriegsende hieß es, dass die Polen aus Rache den „Fäkalienfahrer" aufgehängt hätten – was sich gottseidank als nicht richtig erwies.
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