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Aus der Geschichte Kiel-Gaardens

10. Mai 1952

Demonstration in der Iltisstraße



Ein Ausschnitt aus dem Bild am Iltisbunker zeigt protestierende Matrosen und Arbeiter sowie einen Protestmarsch und eine Demonstration im November 1918. In der Bildmitte ist die Rote Fahne als Symbol der Arbeiterbewegung zu sehen.
Den Hintergrund bilden Werftanlagen.

Im Mai 1952 wird erneut demonstriert -
diesmal in der Gaardener Iltisstraße.

In den frühen Abendstunden des 10. Mai 1952, kurz nach Anbruch der Dunkelheit, demonstrierten in der Iltisstraße im Kieler Stadtteil Gaarden mehrere hundert Jugendliche. Aus dem Brook kommend, formierten sie sich zu einem Fackelzug und brachten durch Sprechchöre ihr Anliegen zu Gehör: Nieder mit dem Generalvertrag ? Wir fordern einen Friedensvertag ? Wir wollen keine Amiwaffen, wir wollen für den Frieden schaffen.

Die in der Iltisstraße demonstrierenden Jugendlichen waren an diesem Sonnabend mit Autobussen aus den verschiedensten Gegenden Schleswig-Holsteins nach Kiel gekommen, um in der Nacht in einem geschlossen Korso nach Essen zu fahren.
Die Teilnehmer an dieser Fahrt kamen nicht nur aus den Reihen der seit einem Jahr verbotenen Freien Deutschen Jugend (FDJ), sondern auch aus Gruppen der Falken und Jungsozialisten, der Gewerkschaftsjugend und der Pfadfinder. In Essen wollten sie an der ?Jugendkarawane gegen den Generalvertrag ? für einen Friedensvertrag? teilnehmen, zu der das vom Darmstädter Pfarrer Herbert Mochalski geleitete Präsidium des ?Treffens der jungen Generation? ( dieses Treffen fand am 2. März 1952 in Darmstadt statt ) die Jugend Westdeutschlands für den 11. Mai aufgerufen hatte.
Am Vormittag des 10. Mai wurde auf Anordnung des nordrhein-westfälischen Innenministers Karl Arnold (CDU), zugleich Ministerpräsident des Landes, die vorgesehene Kundgebung und Demonstration in Essen jedoch verboten. Für die hiesigen Organisatoren stellte sich damit die Frage, ungeachtet des Verbots die Fahrt anzutreten oder sie zu unterlassen.
Als dann bekannt wurde, dass bereits an den Elbbrücken bei Hamburg Polizeikontrollen stattfanden, war die Entscheidung gefallen. Die Fahrt nach Essen wurde abgesagt, jedoch sollte vor der Heimfahrt das Anliegen der Jugendkarawane noch mit einer Demonstration in Kiel öffentlich gemacht werden. Dass man sich dann für Gaarden und dort für die Iltisstraße entschied, hatte wohl vorrangig logistische Gründe. So wurden die Busse in die Bielenbergstraße gelotst, damit die Insassen weit-gehend unbeobachtet durch den Brook in die Iltisstraße gelangen konnten, wo sich die Teilnehmer zum Fackelzug formierten.

Die Demonstranten waren bis zur Kreuzung Helmholtzstraße gekommen, als Polizei den Weg versperrte und ohne Vorwarnung mit Gummiknüppeln auf die ersten Reihen einschlug. Wenige Minuten später bogen von der Preetzer Chaussee her Mannschaftswagen der Bereitschaftspolizei in die Straße. Nun wurde auch von hinten auf die Demonstranten eingeschlagen, so dass der Demonstrationszug sich auflöste und die Teilnehmer ? soweit die Polizei es zuließ ? zu ihren Bussen zurückkehrten.

Drei Tage später, am Dienstag den 13. Mai erlebte die Iltisstraße erneut eine Demonstration und polizeiliche Gewalt gegen die Demonstranten. Ausgangspunkt war diesmal eine verbotene Kundgebung der KPD. Schon Wochen vor der für den 11. Mai geplanten Jugendkarawane in Essen hatte die KPD für den 13. Mai eine Kundgebung zum Thema ?Was bedeutet der Generalvertrag für die Kieler Bevölkerung und wie kann sie sich dagegen wehren?? geplant. Stattfinden sollte sie am besagten Tag um 19 Uhr auf dem Vinetaplatz in Gaarden.
Unter Berufung auf die Demonstration am vorhergehen-den Sonnabend in der Iltisstraße und den Vorgängen am 11. Mai in Essen ? dort kam durch den polizeilichen Schusswaffeneinsatz das aus München angereiste 20jährige KPD- und FDJ-Mitglied Phillip Müller zu Tode ? untersagte die Stadtverwaltung wenige Stunden vor dem Termin der Kundgebung deren Durchführung. Um das Verbot durch-zusetzen, riegelte die Polizei daraufhin alle zum Vinetaplatz führenden Zugänge ab (Elisabethstraße, Medusastraße, Wikingstraße). Da das Verbot der Öffentlichkeit nicht bekannt war, kam es an den Absperrungen zu großen Ansammlungen von Leuten, die an der Kundgebung teilnehmen wollten. Die Aufforderungen der Polizei, die Straßen zu räumen, wurde weitgehend nur unwillig gefolgt. Viele Besucher begannen vielmehr von einer gesperrten Straße zu der anderen zu wandern, mit dem Ergebnis, dass es zu einer immer größer werdenden Ansammlung im Bereich der Stoschstraße kam. Darunter befand sich auch der für die Kundgebung vorgesehene Redner, der KPD-Bundestagsabgeordnete Otto Niebergall. Auf einer herbeigeschafften Kiste stehend, hielt er eine kurze Ansprache. Unterdessen war ein Lautsprecherwagen der Polizei eingetroffen, der die Versammelten aufforderte auseinander zu gehen und die Straße zu räumen. Diese Aufforderung wurde mit gellenden Pfiffen und lauten Protestrufen be-antwortet. Unvermittelt begann die auf schätzungsweise fast 3000 Personen angewachsene Masse sich in Richtung Iltisstraße zu bewegen, eingeschlossen der Polizei-Lautsprecherwagen, der sich im Schritttempo mit bewegte. Seine Durchsage-Versuche wurden jedes Mal von der Menschenmenge lautstark erstickt. Der spontan entstandene Demonstrationszug bog dann in die Iltisstraße ein, wo auf der Kreuzung Medusastraße eine Polizeikette und mehrere berittene Polizisten versuchten ihn aufzuhalten, was ihnen jedoch nicht gelang. Kurze Zeit später traf dann in der Iltisstraße motorisierte Bereitschaftspolizei ein, die umgehend mit Schlagstöcken gegen die Demonstranten vorgingen.
Die Folge war eine über mehrere Stunden immer wieder in den Straßen um den Vinetaplatz aufflammende Auseinandersetzungen zwischen protestierenden Bürgern und der Polizei.
Das Verbot ihrer Kundgebung am 13. Mai nicht widerspruchslos hinnehmend, veranstaltete die KPD noch in der gleichen Woche eine Protestversammlung, zu der am Sonnabend, den 17. Mai, 3000 Kieler Bürger auf den Vinetaplatz kamen. Da es diesmal keine Eingriffe der Staatsmacht gab und die Kundgebungsteilnehmer sich auch nicht durch die Anwesenheit von Polizei in Nebenstraßen provozieren ließen, verlief alles ohne Zwischenfälle.

Grundlage dieser Aufzeichnung sind meine Erinnerungen, habe ich doch an allen drei beschriebenen Ereignissen teilgenommen.

Edmund Schulz
Leipzig im September 2012
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