Abonnieren


Aus der Geschichte Kiel-Gaardens



Geschichten vom Krieg
in der Iltisstraße

Die Bomben und der Bunker, Teil 2



Leo Lambert war seit 1936 in der Rot-Kreuz-Bereitschaft in Kiel Gaarden. Er war auf der Werft unabkömmlich und deshalb nicht eingezogen. Doch erlebte er als „Arbeitssoldat" die Versenkung der Tirpitz vor Tromsö in Norwegen, wurde Zeuge, wie viele seiner Kameraden während einer Reparatur des Schiffes mit in die Tiefe gerissen wurden. In Gaarden war er für das DRK oft Tag und Nacht im Einsatz. Bei großen Katastrophen und schweren Bombenangriffen wurde er von der Arbeit abgerufen.

Im Jahre 1989 erzählte der nun achtzigjährige Leo Lambert:
„Der erste schwere Angriff auf Gaarden erfolgte bereits im April 1941. In Katzheide brannte das damalige Wehrmachts-, Gefangenen- und Arbeitslager. Siebzehn Personen wurden dort getötet. Als man sie beerdigen wollte, gab es wieder Alarm — die Trauergäste stoben auseinander wie aufgescheuchte Hühner. Ich musste oft im Bombenhagel und unter Tieffliegerbeschuss als Adjutant des Bereitschaftsführers von Bunker zu Bunker laufen; von der Iltisstraße zur Pickertkaserne, vom Vinetaplatz zum Ellerbeker Markt — unter dem Marktplatz kamen einmal vier Mann durch den Luftdruck einer Mine um. In Katzheide waren zwei Stollen für 1000 Personen. Der hintere war, für Mütter mit Kindern und Schwangere, mit Betten und Bänken ausgestattet. Im vorderen hockten die Leute auf ihren Koffern.
Auch im Straßenbahndepot gab es zwei, einen Hoch- und einen Tiefbunker. Schwangere und Mütter, die gerade entbunden hatten, wurden besonders vom DRK betreut — wir trugen sie manchmal auf Leitern in den Bunker.
In besonders schlimmer Erinnerung sind mir die Großbrände von Mordhorst und vom Kieler Schloss.
Ein junges Mädchen z. B. verlangte nach Wasser — und starb in meinen Armen. Zwei Nachbarskinder fand ich nach einem Angriff tot in ihren Betten liegend. Ich trug sie zum Bunker in der Kaiserstraße; dort wurden die Toten gesammelt.
Im Ziegelbunker vor der Schule in Ellerbek erlebte ich, wie der Bunker unter einem Treffer wackelte; der Sanitätsraum war nicht mehr zu gebrauchen. Am meisten erschüttert aber hat mich immer von neuem, dass verbrannte Menschen so leicht in den Händen lagen, anzufühlen wie Holzkohle.
Ein Soldat kam auf Urlaub. Seine Angehörigen waren alle beim letzten Angriff ums Leben gekommen.
„Ich meinte, an der Front im Krieg zu sein. Hier ist es ja viel schlimmer! Man hat den Feind nicht vor sich, sondern über sich!" Sämtliche von der Wehrmacht freigestellten Leute waren im DRK schwer beschäftigt. Dazu kamen die jungen Leute, die noch nicht eingezogen wurden, 13-, 14-, 15jährige, Lehrlinge zumeist, die das DRK der Hitlerjugend vorzogen, wenngleich sie während ihrer Lehrzeit abends, nachts und sonntags Dienst tun mussten.

Anweisungen erhielten wir vom Bereitschaftsführer, Befehle von der Luftschutzpolizei — offiziell hieß es „Luftschutz-Sicherheitsdienst" — einer Sanitätseinheit mit Polizeigewalt. Die Männer trugen Luftwaffengrau mit Polizeiabzeichen und hatten Wehrmachtsdienstgrade. In Gaarden hatten sie ihre Hauptstelle in der ehemaligen Förderschule in der Schulstraße, vier mit Wagen ausgerüstete Züge.
Sie wurden überall eingesetzt, wo noch Menschen zu retten waren und rekrutierten sich aus Geschäftsleuten, die nicht eingezogen wurden, weil die Wirtschaft weiter laufen musste. Nachts waren sie in Bereitschaft, schliefen in der Schule. Tagsüber waren sie im Geschäft, bis die großen Tagesangriffe einsetzten. Dann hielten Lehrlinge, Gesellen und vor allem die Ehefrauen den Betrieb aufrecht."

Der Ausschnitt des Bildes am Iltisbunker zeigt Szenen aus dem Zweiten Weltkrieg: Ein aufgebahrter Soldat mit Stahlhelm im Vordergrund, an dessen Seite eine trauernde Frau steht. Auf der linken Bildseite verabschieden sich ein Soldat und seine Geliebte. Im oberen Bilddrittel sind Panzer, brennende Gebäude und Häuserruinen zu sehen.
Im rechten Bereich sind drei Gestalten mit Kopftüchern dargestellt, die im Zusammenhang mit der Szene darüber – schwer arbeitende Menschen und Lorenwagen – eventuell als deportierte Juden gedeutet werden können.

Aus den Kindheitserinnerungen von Dr. Edmund Schulz:
An den Bau des Bunkers habe ich noch einige Erinnerungen. So, dass ich zu einem italienischen Arbeiter eine Freundschaft entwickelte und ich ihm eines Tages eine Packung Spagetti oder vielleicht eher Makkaroni schenken konnte, die wir zu Hause hatten.
Gebaut wurde er wohl 1942, denn, so habe ich eben nachgelesen, war der Bunkerbau in Kiel stark verzögert. Wir sind erst seit dem Angriff am 14. Mai 1943 bei Alarm in den Bunker gegangen, bis dahin haben wir die Alarme im zum Luftschutz ausgebauten Keller verbracht. Die Keller der Häuser waren ja alle miteinander verbunden indem die Brandmauern durchbrochen und mit einer Schicht Ziegelsteinen – die im Notfall ohne Schwierigkeiten eingeschlagen werden konnten – wieder verschlossen waren. Einmal habe ich es bei einem Nachtangriff erlebt, dass die Ziegelwand von der 53 aus eingeschlagen wurde und die Leute zu uns herübergeklettert kamen. Da war eine größere Brandbombe auf den Hof gefallen und hatte starken Qualm ausgelöst.
An der Ecke Iltisstraße / Chaussee - gegenüber des Bunkers, dort hat ein villenartiges Haus gestanden, in dem sich ein Geschäft befand, in dem eine (für uns Kinder) alte Dame Schreibwaren verkaufte.
Eines Tages kam aus dem Haus ein Junge auf uns zugestürmt, den wir nicht kannten und den wir nicht verstanden – er sprach englisch. Die Ladenbesitzerin war seine Oma, deren Tochter wohl irgendwann nach Amerika gegangen war und nun mit ihrem Sohn nach Deutschland zurückgekehrt war. An Namen kann ich mich nicht mehr erinnern. Bei einem Bombenangriff wurde das Haus zerstört, die Oma bekam dann eine kleine Wohnung in der Blitzstraße, wo sie mit ihrem Enkel wohnte (wo die Tochter abgeblieben war, kann ich nicht sagen). Eines Tages hörten wir dann, dass beide im Schlaf durch eine Gasvergiftung zu Tode gekommen wären. Es ging das Gerücht, dass die Oma vergessen hatte den Herd abzustellen und durch Überkochen die Gasflamme erloschen sei.

Anmerkung:
Der Junge hieß: Kalli Stengel
Leipzig im Dezember 2013



VerzeichnisZurück

"Seite gefällt mir" klicken und über neue Beiträge direkt durch unsere Facebookseite informiert werden.

Weiterempfehlen