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Gaarden Blog



Billard und ein Stück Heimat

Martin Geist     29.11.2015


Wofür ist offene Jugendarbeit gut? Auch Mitarbeiter und Besucher mehrerer Treffs aus Gaarden stellten sich diese Frage bei einer Tagung in der Fachhochschule Kiel.

In den Jugend- oder Mädchentreff geht man zum Billardspielen oder Tanzen und nicht, um über Probleme mit der Schule oder dem Erwachsenwerden zu reden. Dass das regelmäßig trotzdem passiert und es die Akteure dabei oft gar nicht wirklich merken, ist vielleicht der größte „kommunale Mehrwert offener Kinder- und Jugendarbeit“.
Genau um dieses Thema ging es im Audimax der Fachhochschule (FH), wo Mitarbeiter der Treffs ebenso wie Jugendliche und Eltern das Gespräch mit Vertretern der politischen Gremien suchten. Wissenschaftliches Futter gab es obendrein. Zunächst durch Melanie Groß, die als Professorin für Soziale Arbeit an der Kieler FH Kiel auch praktisch mitmischt in der Jugendarbeit: Etwa durch von der FH begleitete Gartenprojekte für Jugendtreffs und für besonders benachteiligte Jugendliche aus Roma-Familien im Stadtteil Gaarden.
Gerade das Roma-Projekt, das sich unter großem Zulauf einer Zielgruppe widmet, für die sich sonst niemand so recht zuständig fühlt, zeigt exemplarisch, in welcher Weise gut gemachte Offene Kinder- und Jugendarbeit wirkt. Und wie Sozialministerin Kristin Alheit bei der Konferenz betonte, könnte in dieser Hinsicht noch viel nachkommen, weil aus ihrer Sicht mehr denn je junge Flüchtlinge zur Zielgruppe werden: Jugendtreffs bieten laut Alheit „gute Anlässe, die deutsche Sprache und Kultur kennen zu lernen und können eine wichtige Brücke zur Integration sein.“ Als „Orte der informellen Bildung“, so spannte die Ministerin den Bogen über die gesamte Gesellschaft, seien solche Einrichtungen aber auch ein „Wert für die Kommunen an sich“.
Melanie Groß vertiefte diesen Aspekt und hob hervor, dass die Anforderungen an junge Menschen heute „ungleich komplexer“ seien als in früheren Zeiten mit von der Berufs- bis zur Partnerwahl oft stark vorgezeichneten Lebenswegen. Die pädagogischen Kräfte in den Treffs und Zentren sind für Groß „wichtige Wegbegleiter“, um Jugendlichen zu helfen, „selbstbewusst und handlungsfähig zu werden.“ Und dies umso mehr, als sie es nach ihrem Befund oft mit Sprösslingen aus eher benachteiligten Familien zu tun haben.
Politologe Prof. Peter-Ulrich Wendt von der FH Magdeburg bezeichnete die Offene Kinder- und Jugendarbeit als unterschätzten Standortfaktor, was die Folgen des demographischen Wandel betrifft. In fast allen schleswig-holsteinischen Kommunen geht nach seinen Zahlen bis zum Jahr 2030 der Anteil der Jüngeren zurück. Besonders kritisch sei das Minus bei den 19- bis 24-jährigen, deren Anteil sogar in der sonst wachsenden Stadt Kiel rückläufig ist. „Schrumpft diese Altersgruppe zu stark, dann geht das Innovationspotenzial der Kommune dahin“, mahnte der Professor. Jugendtreffs jedoch könnten dazu beitragen, dass sich der Nachwuchs angenommen fühlt, dass er lernt, sich zu engagieren und Verantwortung fürs Gemeinwesen zu übernehmen. Und wer über diese Erfahrungen Heimatgefühl im positiven Sinn entwickelt hat, so berief sich Wendt auf empirische Studien, sucht sein Glück mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit in den großen Metropolen.
Die Kieler Tagung bildete nach Schwarzenbek, Pinneberg und Schleswig den Abschluss einer vom Landesnetzwerk Offene Kinder- und Jugendarbeit in Schleswig-Holstein organisierten vierteiligen Reihe von Regionalkonferenzen. Das aus Praktikern der Städte Kiel und Neumünster sowie der Landkreise Plön und Rendsburg-Eckernförde zusammengesetzte Netzwerk wollte mit diesen Konferenzen auch ein Stück weit Lobby-Arbeit für einen Bereich betreiben, der bei Haushaltsberatungen in den Städten und Gemeinden traditionell stark anfällig für den Rotstift ist.



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