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Gaarden Blog



Schaffen wir das?

Martin Geist     30.09.2015


„Wir schaffen das.“ Frau Merkel geriert sich flüchtlingspolitisch wie Bob der Baumeister. Doch was bedeutet das für die Basis in Gaarden?

Boris Palmer ist bei den Grünen, Oberbürgermeister in der Universitätsstadt Tübingen und kann seine Partei gehörig nerven. Was nicht bedeutet, dass er Blödsinn redet. Tübingen, so merkte er dieser Tage in einem Interview mit dem „Schwäbischen Tagblatt“ an, baue im Jahr 100 Sozialwohnungen und sei damit spitze im Ländle. Um die dauerhaft bleibenden Flüchtlinge aufzunehmen, brauche seine Stadt dagegen jährlich mindestens 500 Sozialwohnungen. Aber: „Im Moment haben wir dafür weder ein Bundesprogramm noch die Fläche noch die Planungskapazitäten noch das Geld.“
Palmer nimmt auch konkret Stellung zu Baumeisterin Merkel: „Die Frage ist, was schaffen wir? Die Flüchtlinge hier unterzubringen auf Feldbetten, in leeren Gewerbehallen und Häusern, in Turnhallen? Ja, natürlich, das schaffen wir. Wenn Länder wie Jordanien oder der Libanon Millionen unterbringen können, dann können wir das auch. Aber wenn sich die Frage in die Zukunft richtet, wenn es also um Integration geht – Integration in den Arbeitsmarkt, in den Wohnungsmarkt, in das Bildungssystem – dann fehlt mir im Moment erstens die Zahl der Flüchtlinge, auf die wir uns einstellen sollen. Und zweitens fehlen mir die Mittel und die Instrumente, um diese Herausforderung zu bewältigen.“
Wer könnte die Nöte und Argumente dieses Kommunalpolitikers nicht nachvollziehen? Zumal es genauso gut möglich wäre, dass der Kieler OB solche Worte sagt, wenn er sich denn trauen würde. Nein, mangelndes Problembewusstsein soll Ulf Kämpfer nicht unterstellt werden. Er ist schließlich ein kluger Mann. Trotzdem entfleuchen ihm Sätze fast wortgleich der Merkelschen „Wir-schaffen-das-Rhetorik“.
Die Wahrheit ist: Natürlich schaffen wir das so nicht. Und zu befürchten ist: Als Erstes wird das in Gaarden zu spüren sein. Der Stadtteil – ohnehin hoch in Anspruch genommen durch gewaltige Integrationsleistungen (die er bemerkenswert erfolgreich bewältigt!) – soll immerhin keine neuen Erstaufnahmeeinrichtungen bekommen. Doch richtig spannend wird es eben erst, wie Palmer richtig anmerkt, wenn Flüchtlinge mit hoher Aussicht auf dauerhaftes Bleiberecht in ganz normale Wohnungen ziehen. Sie werden aus verständlichen Gründen wahrscheinlich nicht den Blücherplatz wählen, sondern Gaarden. Schätzungsweise mehrere hundert Menschen haben es schon so gemacht.
Logisch also: Die Gesellschaft müsste jetzt alle Kräfte darauf konzentrieren, diese Menschen zu integrieren, ihnen Sprache und gesellschaftliche Werte zu vermitteln, ihre beruflichen Kompetenzen herausfinden und stärken. Tatsächlich aber läuft es so, dass eine Gaardener Schule von heute auf morgen mal eben an die 60 neue Schüler für ihre „Deutsch-als-Zweitsprache-Klassen“ zugewiesen bekommt. Wie sie das anstellt? Egal. Irgendwie werden wir es schon schaffen.
Gefordert ist statt solcher Floskeln in diesen Zeiten politischer Mut. Ja, die Integration wird teuer und ja, sie ist so wenig nebenbei zu schultern wie vor 25 Jahren trotz anderweitiger Verkündungen die deutsche Einheit. Wenn aber etwas teuer wird, dann muss entweder anderswo gespart werden oder es braucht höhere Steuern. Das ist die eigentliche Diskussion. Und die Retourkutsche dafür, dass die Bundesregierung noch vor kurzer Zeit extrem kostspielige und politisch völlig sinnfreie Wohltaten wie die Mütterrente und die Rente mit 63 auf den Weg brachte.
Das Geld könnte jetzt wahrlich besser eingesetzt werden.


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