Abonnieren

Gaarden Blog



Wählerstimmen statt Zukunft

Martin Geist     08.07.2015


Rechts der Kran von HDW, links die Türme der Stadt. Ein Bild, das viel zu sagen hat über Kiel und Gaarden.


Aufgenommen ist das Foto durch das Bürofenster des Verfassers dieses Blogs. Neuerdings befindet sich dieses Büro nicht mehr in der Iltisstraße, sondern in der Dachwohnung des Restaurierungszentrums Kiel in der Kaiserstraße. (Was nur deshalb erwähnt werden soll, weil der damit verbundene Umzug in letzter Zeit zu entsprechend spärlichen Einträgen im Gaardian-Blog geführt hat.)
Aber zurück zum Thema. Das Bild zeigt eines ganz klar: Die Werft und Kiel gehören zusammen. Und der Kran der Werft überragt – zumindest aus dieser Perspektive – den Turm der Nikolaikirche und erst recht des das Rathauses. Was wiederum auch im übertragenen Sinn stimmt, denn ohne den Schiffbau, also ohne Gaarden und das Ostufer, wäre Kiel nicht nichts, aber ganz schön wenig. Denn erinnern wir uns: Gemessen an heutigen Maßstäben war Kiel vor 250 Jahren noch ein Dorf. Um 1750 lebten gerade mal 4500 Seelen im Stadtgebiet. Und auch 1885, fast 20 Jahre, nachdem die Stadt aufgrund preußischen Zutuns Standort eines Reichskriegshafens wurde, knallten im Rathaus die Sektkorken, weil die Zahl von ebenfalls überschaubar anmutenden 50000 Einwohnern überschritten war. Schon im Jahr 1900 allerdings hatte sich diese Zahl verdoppelt, so dass sich Kiel seither als Großstadt bezeichnen darf. Das nennt man Aufschwung Ost(ufer).
Speziell Gaarden darf damit ganz schön stolz sein auf seinen Beitrag zur Entwicklung von Kiel. Speziell übrigens auch die einst aus der Türkei, Griechenland und vielen anderen Ländern gekommenen Gastarbeiter und ihre Nachkommen.
Andererseits ist bekannt, dass Selbstvertrauen, das sich allein auf die Vergangenheit gründet, nicht hilfreich oder gar gefährlich ist. Man sieht es in den USA, deren rechte Konservative dem Amerika der alten weißen Männer nachtrauern und sich diese vermeintlich heile Welt mit Kruden Polit-Forderungen zurückholen will. Man sieht es auch in Deutschland, wo sich die AfD zur Partei der verbitterten älteren Herren mit Angst vor dem Neuen entwickelt.
Der Stadtteil Gaarden indes könnte seine Geschichte als entscheidend belebende Zelle der ganzen Stadt neu erfinden. Er ist schließlich ein besonders junger Stadtteil in einer alt werdenden Stadt, könnte also ein zweites Mal einen echten Beitrag für die Zukunft leisten. Dazu – man mag es im Rathaus und der Staatskanzlei gern hören oder auch nicht – bedarf es allerdings der Unterstützung. Oder besser gesagt politischen Zutuns.
Kostenloses Kindergartenjahr, mehr Geld für junge Polizisten und alle anderen gerade beschlossenen und angeblich ganz und gar nicht vom Schielen auf die nächste Wahl beschlossenen Wohltaten sind jedoch leider Ausdruck von Gießkannenpolitik und nicht von weitsichtigem Denken. Schön zwar, dass sich die Stadt Kiel mehr Geld abzwackt, um zwecks Sprachförderung die Kindergärten in Gaarden mit mehr Personal auszustatten. Nicht so schön aber, dass das Land mit dem extrem aufwendigen Inklusionsprogramm dieses bisschen mehr Luft gleich wieder abschneidet. Grundsätzlich nicht schön ist zudem, dass die Lehrerversorgung der Schulen überhaupt keine Rücksicht darauf nimmt, ob sich das jeweilige Haus im beschaulichen Schilksee oder im brenzligen Gaarden befindet. Dabei ist es so einfach und angesichts der wenigen tatsächlich betroffenen Gebiete noch nicht mal so teuer: In Gebieten, wo die soziale Lage besonders problematisch ist, braucht es die meisten und besten Lehrer, und Erzieherinnen, die schönsten Schulen und Kindergärten und auch die attraktivste Betreuung. Und natürlich Ganztagsunterricht.
Das zu beherzigen, wäre Investition in die Zukunft. Aber so wie es jetzt läuft, haben wir es bloß mal wieder mit Investition in Wählerstimmen zu tun.


"Seite gefällt mir" klicken und über neue Beiträge direkt durch unsere Facebookseite informiert werden.

Weiterempfehlen